Die alemannischen Dialektforscherinnen und -forscher haben sich im Oktober zu einer Arbeitstagung in Freiburg i. Br. getroffen. Dabei brachten viele interessante Projekte neue Erkenntnisse.
Seit über 50 Jahren versammeln sich Leute, die sich beruflich mit Mundarten beschäftigen, im Dreijahres-Rhythmus zu einer Arbeitstagung. Mitte Oktober fand sich eine Gruppe mit rund 80 Personen aus der Alemannia (Süddeutschland, Elsass, Vorarlberg, Deutschschweiz) in Freiburg im Breisgau. Während zweieinhalb Tagen machten sie sich ein Bild von den aktuellen Entwicklungen in der Mundartforschung. Und beim Festanlass kam das Gesellige nicht zu kurz. Der Mundartdichter und Sprachverwurstler Stefan Pflaum holte die Sprachforscher ab.
Von dänk über kolümnele bis Schtyykch – alles Schweizerdeutsch
Hier lose ein paar fachliche Rosinen aus dem reich befrachteten Programm:
- Helen Christen, Professorin an der Uni Freiburg (CH), sprach im Eröffnungsvortrag über Satzbestandteile, die im Schweizerdeutschen zu Partikeln werden. Die Wörter dänk, gloub, meini, schints schränken die Gültigkeit einer Satzaussage ein. «Der Sprecher kommentiert mit ihnen einen Sachverhalt mit Faktizität und Eventialität», sagte Christen. Dänk, gloub, meini, schints seien nur schwer zu übersetzen.
- Mirjam Weder, Karin Madlener und Sophie Dettwiler (Unis Basel und Lausanne) untersuchen produktive Verben auf -le/-ele, die auf Nomen zurückgehen. Feste Formen wie zmörgele, tökterle, käfele sind Vorbilder für kreative Neuschöpfungen wie facebookele, kolümnele, whatsäpple oder interviewle. Schweizerdeutsch kann sich täglich verändern.
- Raphael Berthele, Mehrspachigkeitsprofessor an der Uni Freiburg (CH), verglich die regelmässigen Diskussionen ums Mundartlernen mit denjenigen ums Fremdsprachenlernen. Bei beiden gebe es viele Stereotypen und Vorurteile, welche vom Zeitgeist geprägt seien. Berthele forderte wortgewandt mehr Forschung und weniger Meinung.
- www.sprachatlas.ch heisst eine neue Internetseite über den Sprachatlas der deutschen Schweiz (SDS). Die Idiotikon-Redaktion macht darauf einige Originaldaten, -notizen und -karten aus dem Archiv zugänglich und erleichtert so das Forschen. Zusätzlich ist bei der Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften eine Broschüre über Bedeutung und Hintergründe des SDS herausgekommen.
- Rebekka Studler von den Uni Basel hat die Einstellungen der Deutschschweizer gegenüber Dialekt und Standard untersucht und mit früheren Studien verglichen. Alte Stereotypen gegenüber dem Standard bleiben zwar, doch insgesamt wird der Umgang mit der hochdeutschen Variation immer selbstverständlicher. Er ist weniger belastet und weniger problematisch.
- Christa Schneider und David Bichsel von der Uni Bern haben sich gefragt: «Can you English?» Wie sprechen die Berner englische und für Schweizer Ohren ungewohnte Laute wie in Pub, Update, etc. sowie in Steak aus? Gerade bei Steyk vs. Schtyykch zeigt sich, dass die mittlere Generation gern über das Ziel hinausschiesst. Auch gibt es Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Sprechern.
- Aber auch im süddeutschen Raum wird viel geforscht. Javier Caro Reina hat dabei eine neue Einteilung des alemannischen Sprachraums propagiert. Es sei entscheidend, ob der Schwerpunkt eher auf der Silbenaussprache oder auf der Wortaussprache liege. Mit einer eigenen Analyse versuchte er, diese Typologie noch zu verfeinern.
Christian Schmutz, Oktober 2017